Fliegerdenkmalpflege bei Riesenbeck

Im Juli schnürte unser Fluglehrer Christoph mit seinen beiden Töchtern die Wanderschuhe, beluden den Bollerwagen mit allerlei Putzmitteln und machten sich auf den Weg, um in der Nähe von Riesenbeck den Kronfeld Gedächnisstein aufzufrischen. Robert Kronfeld war einer der Pioniere des Segelfliegens und entwickelte das erste gebrauchstaugliche Variometer, dass das Aufwinden von thermischen Aufwinden erheblich erleichterte. Ihm gelang als erstem Piloten ein motorloser Flug über eine Strecke von mehr als 100 km. Er startet am 15. Mai 1929 per Gummiseilstart in der Nähe von Riesenbeck (Bergeshöveder Berg, 52°16′30″N7°37′6″E) und flog mit einem Segelflugzeug vom Type „Wien“ entlang den Höhenzügen des Teutoburgerwaldes bis in die Nähe von Detmold und gewann mit diesem fünfstündigen Flug den mit 5000RM dotierten „Ullstein Preis“.  An der Startstelle hatte der Riesenbecker Heimatverein 1991 ein Denkmal aufgestellt, um an diese fliegerische Leistung zu erinnern. Mit viel Eifer und Geschick schrubbten die Mädels den Gedenkstein und und befreiten ihn vom Bewuchs mit Flechten und Moosen. Nun hat er wieder sein würdiges Aussehen! Ein tolle Aktion unseres Nachwuchses.

dazu aus der Zeitschrift „Flugsport“ 1929 Nr. 13, Seite 255
Mein Streckenrekordflug am Teutoburger Wald.
Von Robert Kronfeld 

Es ist bestimmt, daß die Ausschreibung des „Grünen Post“-Preises nach dem verflossenen Rhön-Wettbewerb die Gemüter der erfolgreichsten Segelflieger und derjenigen, die es werden wollten, eingestandener oder auch uneingestandener Maßen in heftige Aufregung versetzte. Aus leicht begreiflichen Gründen hörte man von den zahlreichen Versuchen, die zur Erreichung des 100 km-Zieles angesetzt wurden, nicht allzuviel. Nur von Zeit zu Zeit vernahm man, daß in irgend einer Gegend Deutschlands etliche km geflogen wurden, eine Maschine zu Bruch gegangen sei, oder einige Kanonen ebenso andauernd wie verzweifelt auf richtiges 100 km-Wetter warteten. Im Herbst zog so manche schöne Front über die Wasserkuppe, manch schöner Kumulus lud zum Starten ein. Oft stand ich dann da, bei meiner Fluglehr er tätigkeit auf der Wasserkuppe, mit der Stoppuhr in der Hand, die C-Prüflinge in der Luft verfolgend und dachte daran, daß jetzt wohl irgendwo einer in Deutschland den „Bart abnimmt“, wie es in der Fliegersprache so schön heißt. Aber es erfolgte nichts, und so gewann ich Zeit. Der Winter kam, die Segelfliegerei hielt Winterschlaf. Mit dem Frühjahr wurde meine neue Maschine vom Kegelflugzeugbau in Kassel fertiggestellt. Meine „Wien“ stellt eine Hochzüchtung des so bewährten Professortyps der Rhön-Rositten-Gesellschaft dar. Mein erster großer Flug damit führte mich in erhebliche Höhen und so sah ich denn den kommenden Dingen doch mit einiger Hoffnung entgegen. Gleichzeitig begann Nehring seine Flüge bei Darmstadt und seine Erfolge in geschaffter Strecke übertrafen meine bei weitem.
Es war mir klar, daß bei so scharfer Konkurrenz und einer so bedeutend geforderten Leistungssteigerung nur die Zuhilfenahme der neueren Erfahrungen des Segelfluges, eine günstige Geländewahl und die unumgänglich notwendige Portion Glück zum Ziele führen könnte. Ein Studium der Karte von Deutschland ergab bald die günstigsten Gegenden. Sollte ich das klassisch deutsche Segelfluggelände, die Rhön wählen, Nehrings Flugstrecke an der Bergstraße und weiter den Schwarzwald oder ein neues Gelände aufsuchen? Gegen die erste Möglichkeit sprechen, trotz der besonderen Vorteile, rein sportliche Erwägungen. In einem, einem selbst unbekannten Gelände zu fliegen, gibt immer mehr an Reiz. Ich wollte damit zeigen, daß es auch wo anders gehen muß. Die von jemand anderem erprobte Flugstrecke auch aufzusuchen, ist wohl für eine solche Leistung auch nicht allzu elegant. So blieb die dritte Möglichkeit, die durch die Hilfeleistung der Segelflugvereinigung des D. L. V. Bielefeld und auch Münster noch besonders begünstigt wurde: Der Teutoburger Wald. Der erste Versuch, in dem ich kläglich in einem Loch bei Iburg absackte, war wenig erfolgversprechend. Betrübt kehrte ich nach 3 Tagen Aufenthalt am Teutoburger-Wald auf die Wasserkuppe zurück. 3 Tage Urlaub waren ergebnislos verlaufen, Nächte durchfahren worden und beinahe hätte ich denen recht gegeben, die meinten, daß an diesen niedrigen Hängen — die zur Verfügung stehenden Hanghöhen betragen stellenweise nur 50 bis 100 Meter über dem umliegenden Gelände — doch nicht viel zu erreichen sei. Plötzlich kam wieder ein Telegramm von der Wetterdienststelle in Münster. Ein letztes Mal wollte ich es versuchen und dann, im Falle eines Nichtgelingens, die Maschine wieder zurück auf die Wasserkuppe bringen. Schweren Herzens bewilligte mir Herr Stamer zum zweiten Male die unumgänglich nötige Zeitspanne von 3 Tagen. Wieder wurde eine Nacht auf den Bänken der Eisenbahnwagen verbracht. Die ganze Bielefelder-Segelfluggruppe hatte sich ausgezeichnet. Als ich an der Startstelle ankam, stand schon meine Maschine startbereit da. Auch die Wetterlage schien recht günstig. Der Windmesser zeigte 8 bis 12 sm. Auch Kumuluswolken waren am Himmel zu sehen. Ganz die richtigen waren es ja nicht. Sie waren nicht sehr groß und recht zerzaust, aber sie waren besser, als der blaue Himmel bei meinem ersten Versuche. Schon im Wettbewerb 1928 hatten sich ja die erfreulichen Auswirkungen der systematischen Forschung erschlossen, die im Frühjahr und Sommer 1928 vom Forschungsinstitut der Rhön-Rositten-Gesellschaft auf dem Flugplatz in Darmstadt durchgeführt wurde. Auf Anregung von Prof. Georgii hatte Nehring mit der Motor-Maschine bewiesen, daß dauerndes Segeln, selbst mit sonst nicht segelfähigen Maschinen unter Kumuluswolken möglich ist. Im Wettbewerb hatten sich die wichtigsten Auswirkungen dieser Kenntnis auf dem Segelflug gezeigt. Das Ueberbrücken größerer Löcher, wie sie die Hänge des Teutoburger-Waldes aufweisen, dürfte nur mit Zuhilfenahme des Wolkenaufwindes möglich sein. Tatsächlich war dieser Flug ein Beweis dafür. Das verhältnismäßig schmale Aufwindfeld der relativ niedrigen Hänge gab mir beim Fliegen keine große Bewegungsfreiheit. Immer wieder mußten Wolken helfen. Bei Lengrich, einer recht ungemütlichen Stelle, mußte ich mich wesentlich länger aufhalten, als beim ersten Flug. Es war verhältnismäßig früh am Tage und die Häuser der Stadt, sowie die sonnenbestrahlten Silos der dortigen Zementfabrik gaben noch nicht die Thermik wie beim ersten Fluge zu Mittag. Verdächtig nahe „krebste“ ich % Stunden an den Fabrikschornsteinen herum, die von unten immer näher kamen, bis es mir gelang, eine Wolke zu erwischen, die mich über die Stelle brachte. Ebenso ging es über das Loch von Iburg und dann später über eines der schwierigsten Stücke bei Rothenfelde, wo vorgelagerte Hänge den Aufwind außerordentlich schwächen. Mit demselben Kumulus ging es weiter über Borgholzhausen. Dabei war ganz richtiges Wolkensegeln nicht möglich, das absolute „Anschluß bekommen“, also das Segeln nur durch Wolkenaufwind, erwies sich undurchführbar. An der Schwedenschanze vor Bielefeld war die erste Stelle, wo ich einigermaßen Ruhe fand. Verhältnismäßig leicht ging es an der Hünenburg vorbei über Brackwede weg und jetzt immer mit halbem Rückenwind den Hängen entlang, die selten mehr eine unbewaldete Stelle zeigten. Die Autos, die mich zahlreich verfolgten und sonst an den Stellen, wo ich längere Zeit pendeln mußte, mich immer wieder einholten, verlor ich aus dem Gesichtsfelde. Mit diesen Staubwolkenerzeugern verlor ich gleichzeitig jede Möglichkeit, die leider einsetzende Drehung des Windes zu verfolgen. Einige prächtige, sich richtig aufblähende Kumuluswolken sah ich jetzt vor mir. Es waren die Wärmekumuli, die über der Stapellagersenne hingen. Am großen Hermannsberg versuchte ich wiederum den Anschluß nach oben zu bekommen und bekam ihn hier zum ersten Mal vollständig. Das war auch notwendig, denn unter mir breitete sich der Wald immer mehr aus. Der Forst von Berlebeck, in einer Breite von schätzungweise 7 bis 8 km und unabsehbarer Länge, machte jede Landung unmöglich. Das Hermannsdenkmal sah ich von weitem und stieß direkt darauf zu. Hier werden die Hänge immer flacher, der Teutoburger-Wald biegt gegen Süden ab. Das Vorgelände steigt so an, daß es nicht mehr möglich ist, mit Hangaufwind zu segeln. Wieder erwies sich das Kumulusfliegen an diesem Tage nicht allzu zuverlässig. So schnell ich hinauf gekommen war, kam ich auch wieder herunter. Die Wipfel des Laubwaldes kamen verdächtig nahe, immer tiefer gings und tiefer. Ich stieß noch etwas weiter gegen Osten vor. Mit einem Male gab es eine Fallböe, die mich bis auf 10 Meter über die Baumwipfel drückte. Es war mir klar, daß ich, um die Maschine zu retten, kehrt machen und auf km 85 zurückfliegen müsse, um die letzte Landungsstelle aufzusuchen. Verzweifelt drehte ich vom so nahen 100 km-Ziele ab. Im Augenblick des Abkurvens sehe ich schwach vorn über mir, weit weg vom Hange, einen ganz kleinen zerzausten Dunstfetzen, wie sie schwache Wärmeschläuche krönen. Das war die letzte Rettung. 50 Meter Höhengewinn genügten, um sofort wieder kehrt machend, sich unter den Kumuluswolken entlang zu moglen, die sich über die Kammhöhe wegschoben. Detmold kam links, von meiner Flugroute ins Gesichtsfeld und, jetzt war die Frage, ob die Kumulis stark genug seien, den Hangab wind zu überwinden. Es war so. Gerade in der ganzen Schicht zwischen Auf- und Abwind schob ich mich lang, je nachdem, ob mich die eine oder andere Strömung erreiche, wurde ich hart hinauf und hinunter geworfen. So blieb mir nicht viel Zeit übrig, auf das Landegelände zu achten. Eine Kurve noch, die mich in die Richtung des Tales brachte und mit halbem Rückenwind und Gleitwinkel noch Strecke gewinnen ließ, eine Rückenwindlandung und der Flug war beendet.
Dann spürte ich erst, wie fertig ich war. Ich war glücklich, daß mir meine Sportzeugen und Helfer jede weitere Arbeit von diesem Augenblick an abnahmen. Die Oeffentlichkeit pflegt solche Flüge mit großer Begeisterung zu feiern, wie das auch Sportbegeisterte in Bielefeld und Münster taten. Dem Flieger selber ist es klar, daß nur ein kleiner Impuls gegeben durch Wetterlage, einen Wärmehauch im richtigen Augenblick und einer ausbleibenden Abwindböe im andern, die Neigung des Glückes sich von einem zum andern wenden läßt.