Die Anfänge der Fliegerei in Greven
Seit dem Jahre 1924 befand sich Deutschland in einem wirtschaftlichen Aufschwung. Jedoch geriet das Land im Laufe des Jahres 1929 in den Strudel einer sich global entwickelnden Wirtschaftskrise. In den folgenden Jahren vervielfachte sich die Zahl der Erwerbslosen und die Realeinkommen der Bevölkerung sanken drastisch. Schwierig war die Lage insbesondere auch für Jugendliche und junge Erwachsene. Es mangelte an Lehrstellen und viele fanden nach der Lehrzeit keine Folgebeschäftigung. In diesen Zeiten der beginnenden Krise kam Willi Kranemann (Bild, in den 1980er Jahren) als Berufsschuldirektor am 15.12.1929 nach Greven. Er übernahm die Leitung der Berufsschule. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen gelang es ihm am 15.01.1930 eine Arbeitsgemeinschaft „Fliegen“ an der Berufsschule in Greven zu gründen. Er hatte damit einen Weg gefunden seine Begeisterung für die Fliegerei an die Berufsschüler weiterzugeben. Tatkräftige Unterstützung fand Willi Kranemann bei seinem Kollegen dem Gewerbeoberlehrer Hohenhaus. Gemeinsam verstanden sie es eine Gruppe interessierter Schüler für den Bau eines leichten Gleitflugzeugs vom Typ „Zögling“ zu motivieren.
Die „Zögling“ war ein von Alexander Lippisch, ausschließlich für den Gummiseilstart konstruiertes einsitziges Anfängergleitflugzeug. Der Schulgleiter bot aufgrund seiner Bauart die größtmögliche Sicherheit für die ersten Flugversuche und damit die Voraussetzung für eine sichere Grundausbildung des fliegerischen Nachwuchses.
Für den Bau der „Zögling“ wurden zwei Kellerräume der Schule zu einer Flugzeugwerft umfunktioniert. Die „Jungflieger“ brachten eine Hobelbank und die Werkzeuge mit. Die Lehrer kauften das Holz für die erste Maschine. Weitere Materialien wie z.B. Kaltleim, Nägel und Stahlblech bezahlten die Schüler aus eigenen Mitteln. Das Auswerten und Lesen der Zeichnungen der Zögling und das Anfertigen von sauberen Teilzeichnungen ergänzte praxisnah den theoretischen Technikunterricht. Jedes einzelne Bauteil wurde in aufwendiger Handarbeit selber erstellt. Nachdem der „Rohbau“ nach vielen Arbeitsstunden fertig war bespannte die Gruppe die Tragflächen und Steuerruder mit Stoff und lackierte sie mit Spannlack. In überraschend kurzer Zeit konnte die 17-köpfige Arbeitsgruppe die „Stamer Lippisch Zögling“ in guter Bauqualität fertigstellen. Für dieses Projekt opferten die Jugendlichen im wahrsten Sinne des Wortes die letzten Pfennige ihres ohnehin knapp bemessenen Taschengelds. Im großen Saal Winnighoff stellte die Gruppe die flugfertige „Zögling“ erstmals einer breiten Öffentlichkeit vor. Das Interesse der Grevener Bevölkerung war erfreulich groß und das finanzielle Ergebnis half die Finanzlage der Gruppe zu entspannen.
Zur Vorbereitung auf die ersten Flugversuche mit dem Eigenbau nahmen in den Pfingstferien Wilhelm Kranemann und Herr Hohenhaus an einem Segelflugkursus für Anfänger in den Borkenbergen bei Dülmen teil. Hier erhielten sie eine erste segelfliegerische Grundausbildung. Die Grevener Gruppe baute auf diesen Erfahrungen auf und begann mit ersten zaghaften „Hüpfern“ auf der „Zögling“ zunächst in der Hüttruper Heide. Auf einem selbst hergestellten kleinen Transportwagen zogen die Jungen mit ihren Fahrrädern jeden Samstagnachmittag und Sonntagmorgen den Schulgleiter zum „Fluggelände“. Man übte mit dem Gleiter oft bis zum Einsetzen der Dämmerung und sammelte vielfältige Erfahrungen. Abends wurde die Maschine abgerüstet, auf den Transportwagen verladen und zurück in den Keller der damaligen Lutherschule gebracht. Im Spätsommer 1930 fand die Anfängerschulung am Stadtrand von Greven im Fiskediek und am Esch statt, wo man die leichte Hanglage für weitere Flugübungen nutzte.
Die Flugausbildung wurde wie zu dieser Zeit üblich für die Anfänger nur einsitzig durchgeführt. Der Fluglehrer blieb am Boden und konnte mittels ausgeklügelten Fähnchen-Wink-Signalen Hilfestellung geben. Im ersten Ausbildungsabschnitt stellte der Flugschüler den Gleiter gegen den Wind und musste ohne Fremdhilfe versuchen durch Querruderausschläge die Tragflügel gerade zu halten. So erlernte er durch das „Pendeln“ die Steuerung der Maschine um die Flugzeuglängsachse. Im nächsten Teil der Ausbildung zog die Startmannschaft das Flugzeug im Schritttempo. Dabei erlernte der Flugschüler Abweichungen von der richtigen Querlage durch gegensinnige Ausschläge des jeweiligen Querruders zu korrigieren. Mittels der Gummiseilstarttechnik erfolgten die ersten Hüpfer und der Abstand zum Boden konnte schrittweise vergrößert werden. Mit wachsenden Fertigkeiten erreichten die Flugschüler schließlich Höhen, die erste Schleifen in Form eines „S“ zuließen, wobei sie lernten alle drei Steuerruder zu koordinieren.
Als leistungsfähigere Ergänzung zur einfache „Zögling“ sollte eine Maschine vom Typ „Hols der Teufel“ gebaut werden, die auch für den Windenstart geeignet war. Im Vergleich zur Zögling, mit einer Gleitzahl von 1:9, war die „Hols der Teufel“ ein zur damaligen Zeit leistungsfähiges Gleitflugzeug mit einer Gleitzahl von 1:12. Diese Leistungsverbesserung wurde im Wesentlichen durch das mit Sperrholz verkleidete Rumpfboot erreicht und ermöglichte längere Gleit- und erste Segelflüge. Um die finanziellen Mittel für diese Maschine aufzubringen organisierte die Gruppe das erste Luftsportereignis in Greven.
An einem sonnigen Sonntagnachmittag im Spätsommer 1930 fand der Flugtag im Esch statt. Die Grevener Bevölkerung nahm begeisterten Anteil. Mit einem feierlichen Weiheakt taufte Amtsbürgermeister Bernhard Hueske auf dem Sportplatz an der Königstraße die „Zögling“ auf den Namen „Greven“. Die Taufrede hielt der Münsteraner Landrat Dr. Max Anton Stiff. Der damalige Polizeiobermeister Mertschat aus Münster führte auf einer Maschine vom Typ „Prüfling“ mehrere Starts aus, während die Grevener Maschine von der akademischen Fliegergruppe in Münster und den Herren Kranemann und Hohenhaus geflogen wurde.
Der finanzielle Erfolg ermöglichte es, im Winter 1930/31 an der Berufsschule einen Kursus für Metall- und Holzbearbeitung für arbeitslose Jugendliche in Verbindung mit der Regierung und dem Arbeitsamt durchzuführen. In diesem Lehrgang wurde das neue Gleitflugzeug „Münsterland“ vom Typ „Hols der Teufel“ gebaut und in einer großen Ausstellung im Saale Winninghoff der Öffentlichkeit gezeigt. Diese Ausstellung fand bei der Grevener Bevölkerung großen Anklang.
Auf anderen Fluggeländen wurden hinter fahrenden Automobilen und Seilwinden Hochstarts durchgeführt. Der Fluglehrer und einer der Pioniere der Windenstarttechnik Fritz Dunkel aus Telgte ersetzte dazu an seinem Fahrzeug ein Hinterrad durch eine Trommel auf die ein langes dünnes Stahlseil aufgerollt war. Um mit dieser Starttechnik auch in Greven beginnen zu können waren Kraftfahrzeuge und ein entsprechend großes Gelände notwendig. Ein Kraftwagen wurde der damaligen Jungfliegergruppe von der Grevener Textilfirma Franz Halstrup geschenkt. Im Jahre 1932 wollte man mit den Windenstarts beginnen.
Grundvorausetzung für den Windenstart war aber zunächst ein großes Gelände, dass zu einem Fluggelände umgebaut werden konnte. Weiterhin musste eine Halle zur Unterstellung für die Segelflugzeuge erstellt werden. Auch die fliegerischen Fertigkeiten galt es zu erweitern um Hochstarts, das Fliegen von Umkehrkurven und Vollkreisen mit Landung an der Startstelle zu erlernen. Um all dieses umzusetzen bedurfte es einer größeren Gemeinschaft in Form eines Luftsportvereins.